Große Brüche im Lebenslauf? Kehrtwenden um 180 Grad? Gibt es bei mir nicht. Irgendwie waren es schon immer Bücher. Der Weg zu dem, was ich heute mache, führte mich nur um ein paar kleinere und größere Ecken. Und einige Male bin ich dem Zufall begegnet.
Inhaltsverzeichnis
Wie ich Kratzmeiers Fibel austrickste
Ich war 5, als ich es merkwürdig fand, dass Papa und Mama hinter so großen Blättern mit schwarzem Zeugs drauf verschwanden. „Lesen“ nannten sie das. Hm. Das wollte ich auch, also kauften die beiden mir die Fibel von Heinrich Kratzmeier (damals DAS Ding zum Lesenlernen). Vorderseite: ein Wort in Großbuchstaben, z. B. OMA. Rückseite: die Auflösung (ein Bild). Sehr schnell sah ich, dass die Illustration auf die Vorderseite durchschien – bingo! Und ich lernte die Zahlen. Ein Blick auf die Seitenzahl genügte, schon wusste ich: Hier steht OMA. Ich habe die Fibel recht schnell hinter mir gelassen und zu einem Lektüre-Klassiker für ein gutes Eltern-Kind-Verhältnis gegriffen (siehe Foto): „A.S. Neill, Die antiautoritäre Erziehung“.
2. Ich muss nicht in die Schule
1969 sollte ich eingeschult werden. Die Nachbarn bedauerten mich: „Nach dem Sommer musst du in die Schule.“ Nö. Da hatten meine Eltern ganze Arbeit geleistet, ich „musste“ nicht, ich durfte in die Schule! Mit der Einstellung war’s da irgendwie ganz schön, und das hielt sich bis zum Abi.
3. Was ich alles NICHT geworden bin
Die übliche „Was willst du denn werden?“-Frage habe ich immer mit „Lehrerin“ beantwortet, ohne mir weiter Gedanken zu machen. Es gefiel mir ja an der Schule. Warum also nicht? Heute denke ich mir: Ich hab ganz schön viel verpasst durch diese gedankliche Trägheit. Hätte ich mich nicht ein bisschen mehr informieren können? Vielleicht wäre ich eine berühmte Chirurgin geworden oder hätte als Staatsanwältin Schwerverbrecher in den Knast gebracht? Who knows?
4. Auszeit in Paris
Während ich so vor mich hin studierte, Latein und Französisch zuerst in Bochum, dann in Tours und schließlich Heidelberg, schien mir das mit dem Lehramt nicht mehr so das Wahre. Jetzt mal ehrlich: Latein unterrichten? Wo das doch erst lange nach Caesar und Cicero anfängt, interessant zu werden, wenn alle das große Latinum haben und abwählen? Aber was macht man sonst mit dieser Ausbildung? Beim Nachdenken halfen ein paar Monate in Paris, dann wusste ich: irgendwas mit Büchern. Und damit ich einen Fuß in einen Verlag bekomme, mache ich eine Zusatzausbildung. Gebongt?
5. Wie werde ich arbeitslos?
Kleiner Haken an der Sache: Die Ausbildung zur „Vertriebs- und Marketingassistentin im Verlagswesen“ war für arbeitslose Geisteswissenschaftler gedacht. Und arbeitslos ist man – oh Behördenlogik – nur dann, wenn man vorher gearbeitet hat. Studieren und Hiwi-Tätigkeiten reichen da nicht. Erster Schritt ins echte Leben: einen Job finden und nach 181 Tagen wieder gekündigt werden. Kein Problem, ein Rechtsanwalt half. Ich wurde Mädchen für alles in seiner Kanzlei und ließ mich pünktlich kündigen.
6. Über Bücher und das Verkaufen fauler Orangen Beim Klett-WBS-Kolleg in Stuttgart lernte ich so ziemlich alles, was man über Bücher wissen muss. Von der Idee bis zum Einstampfen. Kalkulation, natürlich. Und dass man es „opak“ nennt, wenn ein Papier nicht so durchsichtig ist, dass man durch die Vorderseite den Text auf der Rückseite sehen kann (siehe Punkt 1, die Fibel). Dass Serifenschriften leichter zu lesen sind … und dass ein echter Verkäufer zur Not auch faule Orangen verkaufen kann.
7. Der große gelbe Riese In den Ausbildungs-Ferien wollte ich ein Praktikum machen. Ich fragte bei Langenscheidt an – zur richtigen Zeit, am richtigen Ort: Dort ging gerade eine Redakteurin in Rente … und schwupps, wurde ich eingestellt. Ein Traum! Ein großer Traditionsverlag, der sich genau mit dem beschäftigte, was mir gefiel: Sprachen. Andererseits war da sehr schnell auch dieses Gefühl, eingesperrt zu sein: Jeden Tag ins Büro, Gleitzeit war damals das Allermodernste. Home office? No way. Letztlich bin ich tatsächlich 20 Jahre geblieben, denn es gab immer wieder tolle Projekte.
8. Und … spring! Trotzdem fehlte mir was: Ich wollte selbst über mich und meine Arbeit bestimmen, irgendwas machen, wo ich meine eigene Chefin sein konnte. Ich schwankte zwischen einem Saftladen in Griechenland, Yoga in Indien und einem Café auf einer Insel – vermutlich hatte ich zu viele „Eat, Pray, Love“-ähnliche Bücher gelesen. 2011 ergab sich dann die Gelegenheit zu einem Sabbatical, und nein, ich war nicht mutig genug, mit dem Rucksack um Welt zu bereisen, und ich bin auch immer noch keine Yogini. Aber: Ich ging nicht wieder zurück und machte mich selbstständig. Natürlich mit der Ur-Angst aller Selbstständigen: Was ist, wenn ich keine Kunden finde?
9. Tai Chi, Texte und Tapeten Doch sie kamen, und zwar vom Tai Chi. Nicht, weil ich damit Berge versetzen konnte (das hat leider nie geklappt), sondern dank dreier Freundinnen, die mit mir übten: Die eine vermittelte mich als Texterin an ihren Chef. Und so betextete ich Tapeten und bald auch andere Websites. Die zweite empfahl mich ihrem Verlag fürs Korrektorat. Und die dritte brachte mich zu Dorling Kindersley und damit zum Kochbuch-Lektorat (hier mein aller-aller-erstes) – genau das richtige für mich, ich liebe gutes Essen. Und das Beste: Ich durfte endlich arbeiten, wo ich wollte. Zuhause oder im Zug oder am Meer oder im Café …
10. Coaching für Selbstschreiber*innen „Kannst du mir nicht erklären, wie ich besser schreiben kann?“, fragte mich eine Autorin. Na klar konnte ich. Und ich ahnte, dass da draußen noch mehr Menschen sind, die gar keine Texterin brauchen, weil sie selbst schreiben möchten. Die sich nichts mehr wünschen als Tipps und Anregungen, wie sie ihre eigenen Texte verständlicher, strukturierter und schöner machen können. Schwupps war meine Angebotspalette um eine Farbe reicher.
11. Heute fängt was Neues an. Im letzten Jahr habe ich Social Media für mich entdeckt. Offline hatte und habe ich ja auch ein Netzwerk (ich sage nur: Tai Chi), warum also nicht online? Profile hier und da und dort hatte ich schon immer – aber jetzt bin ich voller guter Vorsätze, sie auch zu bespielen. Dieser erste Blogartikel, ein Ergebnis der Challenge „BoomBoomBlog 2022“ mit Judith Peters aka Sympatexter, ist der Start in ein neues Abenteuer.
Foto: © Philine Bach
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