Die Rechtschreibung und ich – (k)eine Liebesgeschichte

09.11.2022

„Huch, gleich so emotional?“, dachte ich mir, als ich auf Kerstin Salvadors Blogparade stieß. Jetzt mal ehrlich: Rechtschreibung, das verbinden die meisten doch mit Rotstift und Schule, Strebern, Erbsenzählern, Besserwissern … Aber Liebe? Echt jetzt? 

Das Thema hat mich dann aber nicht losgelassen. Also habe ich nun kurz vor Ende der Blogparade doch noch meinen Beziehungsstatus überprüft: Wie stehen wir denn eigentlich zueinander, die Orthografie und ich?

Die ersten Dates – ganz ohne Schmetterlinge

Wir zwei sind so reingerutscht in diese Beziehung, die Rechtschreibung und ich. Sie war irgendwie schon immer da: auf den Seiten der Fibel, mit der ich lesen gelernt habe; wenn ich Bücher über Winnetou und Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawud al Gossara verschlang. Sie hielt sich immer schön im Hintergrund  – außer in der Schule, natürlich, da hatte sie ihren ganz großen Auftritt. Eigentlich wollte sie sich gar nicht so in den Vordergrund drängen, aber für die Lehrer war sie immer unglaublich interessant. Ich zuckte die Schultern. Wir zwei kamen ganz gut miteinander klar. Aber das war auch schon das höchste der Gefühle. 

Kinderbücher

Ist da wer?

So vergingen Schule und Uni, die Rechtschreibung und ich waren … ja, was eigentlich? Beste Freundinnen? Kann ich nicht behaupten, denn wir haben nicht viel Zeit miteinander verbracht. Ich habe sie schlicht nicht wahrgenommen, und ich glaube: Sie mich auch nicht. Nur bei Seminararbeiten tauchte sie plötzlich wieder auf: Wenn ich an der elektrischen Schreibmaschine saß (ha, das waren noch Zeiten), mich wieder mal vertippt hatte und mühevolles Ausbessern mit Korrekturband und Tipp-Ex nötig war, fand ich das schon ziemlich anstrengend. Also bemühte ich mich, möglichst wenig Fehler zu machen, das ging einfach schneller. 

Schreibmaschine

Sandkastenliebe

Und wie das manchmal so ist, wenn man sich schon lange kennt, aber nie genau hinguckt: Man entdeckt einander erst spät. Und plötzlich sieht man den anderen in ganz neuem Licht. Ich muss gestehen: Ich nahm die Rechtschreibung erst richtig wahr, als sie mir Geld einbrachte. Durch ein Praktikum hatte ich Kontakt zu S. Fischer in Frankfurt und begann, für den Verlag Korrektur zu lesen. Und plötzlich war unsere Beziehung etwas Besonderes: Offenbar waren wir ein harmonisches Paar, die Rechtschreibung und ich. Die gemeinsame Arbeit fluppte, und ich habe viele schöne, interessante und spannende Bücher gelesen. In der Regel übrigens zweimal: Einmal zur Korrektur, anschließend noch einmal, um den Inhalt bewusst zu lesen. Doch dazu vielleicht mehr in einem anderen Blogbeitrag.

Die Krise

Die große, ernsthafte Beziehungskrise kam 1996. Da trat plötzlich die Rechtschreibreform in mein Leben. Meine gute, alte, liebe Rechtschreibung hatte sich plötzlich eine Rundumerneuerung verpassen lassen. Wer mich kennt, weiß: Ich bin ein Gewohnheitstier. (Eine liebe Freundin hat mich jahrelang damit aufgezogen, dass ich immer völlig aus dem Konzept geriet, wenn sie ihre Möbel umgestellt hat – und das tat sie oft.) Ein neuer Look für die Rechtschreibung, eine etwas andere Frisur, ein cooleres Outfit, ja, das wäre so gerade noch gegangen. Aber was da jetzt passierte, das war fundamental: Tunfisch, Känguru und Portmonee, Getrennt- und Zusammenschreibung … alles war anders. Ich war erschüttert. Jede Beziehung braucht schließlich ihre Regeln, oder? Und die Rechtschreibung hatte sie einfach geändert. Ist das noch okay? 

Mayonnaise & Majonäse

Trennung auf Probe

Nein, okay fand ich das nicht. Ich habe mich erstmal „auf Probe“ getrennt: Damals war ich Lektorin im Verlag und konnte Rechtschreibkorrekturen an freie Mitarbeiterinnen vergeben. Und das tat ich. Sie würde schon sehen, die Rechtschreibung, was sie von so viel Veränderung hatte! Leider sah ich das auch: Immer wieder stolperte ich über Wörter, die ich für Rechtschreibfehler hielt, die aber – nach neuer Rechtschreibung – keine waren. Mit der Branchenbubble und vielen (selbst) ernannten Rechtschreibexperten jammerte ich vor mich hin, dass die neue Rechtschreibung einfach nur anders, aber nicht logischer, konsequenter oder schlicht einfacher war als die alte.

Ich hab mich so an dich gewöhnt

Doch ganz allmählich ging mir auf, dass ich eigentlich keine Wahl hatte: Ich konnte mich nicht so einfach trennen. Die Rechtschreibung, mein Job und ich gehörten irgendwie zusammen, wir hingen aneinander. Also tat ich das, was man in solchen Fällen tut: Ich begann an unserer Beziehung zu arbeiten. Uff! Sehr anstrengend! Was mir vorher einfach zugeflogen war, was einfach immer schon da war, musste plötzlich auf Schritt und Tritt hinterfragt und nachgeschlagen werden. Nichts war mehr selbstverständlich. Da half es mir, dass die Rechtschreibung mir ein bisschen entgegenkam. Irgendwann merkte sie auch, dass sie ein wenig übers Ziel hinausgeschossen war: 2004 und 2006 gab es Reformen der Reform, und der Thunfisch war wieder da. 

Happy End?

Wir können nicht ohne einander, die Rechtschreibung und ich. Ich versuche, auch die Seiten an ihr zu akzeptieren, die ich nicht mag – wir haben unsere offenen Zahnpastatuben (Getrennt- und Zusammenschreibung!) und das Durcheinander, das sie hinterlässt (klein oder groß bei Herkunftsbezeichnungen??) würde ich so manches Mal gern aufräumen. Aber ich möchte sie auch nicht missen. Sie hilft mir. Wobei? Das erzähle ich in einem anderen Beitrag. 

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